
Wir wollen immer artig sein: Punk in der DDR
Ja, es gab sie auch in der DDR: die Punk-, New-Wave-, HipHop- und Independent-Szene. Jenseits von FDJ und staatsgetragener Rockmusik hatten sich in den Achtzigern bunte und vielseitige Untergrund-Szenen gebildet. Sie hielten dem grauen Einerlei des real existierenden Sozialismus ihre störrischen Unwillen und ihre eigene Kreativität entgegen. Natürlich sehr zum Ärger des Staates, der diesen Entwicklungen mit allen Mitteln zu Leibe rückte. Passte doch das äußere Erscheinen eines Punks so gar nicht zum propagierten Bild einer zufriedenen und nach den Regeln des Sozialismus erzogenen Jugend. In Wir wollen immer artig sein kommen die Protagonisten zu Wort.
Diese Geschichte zu erzählen, haben sich die Autoren Ronald Galenza und Heinz Havemeister zur Aufgabe gemacht. Ihr Buch Wir wollen immer artig sein trägt nicht von ungefähr den Titel eines Liedes von Feeling, der wohl bekanntesten DDR-Punkband. Es ist bereits die zweite Auflage, da neue Veröffentlichungen und Erkenntnisse zum Thema ans Tageslicht kamen. Nun erscheint also die zweite und erweiterte Auflage. Neu im Buch sind Abhandlungen über die Skinhead-Bewegung der DDR, Aktivitäten der Berliner Erlöserkirche, über Punks auf dem Lande und den Verbleib der sogenannten anderen Bands nach der Wende.
Punks der ersten Stunde erzählen
Um die Punkszene östlich der Mauer, denn um die geht es zum größten Teil in diesem Werk, zu beschreiben, lassen die Autoren Protagonisten jener Zeit zu Wort kommen. Punks der ersten Stunde, die im Berlin oder Leipzig der frühen achtziger Jahre unter der Schikane von Polizei und Staatssicherheit zu leiden hatten. Die erste Bands gründeten und unter heute kaum noch vorstellbaren, schwersten Bedingungen illegale Konzerte veranstalteten. Und die sogar für ihre Einstellung in den Knast wanderten.
Grund: Die Herabwürdigung der staatlichen Organe der DDR. Das ist ebenso erschütternd wie aufschlussreich. Denn mit welchen Konsequenzen die Punks der DDR damals zu rechnen hatten, konnte sich ein Gleichgesinnter im Westen sicherlich nicht vorstellen. Leider lesen sich diese ersten Kapitel aufgrund der unterschiedlichen Erzählweisen ihrer Autoren oft etwas schwierig. Die detaillierten Schilderungen erschließen sich eigentlich nur für Insider.
Was wurde aus den Bands von damals?
Mehr nebenbei als direkt erfährt man in diesen Geschichten aber auch viel über die ersten Punkbands und ihre Entwicklungen. Und auch die waren ständigen Repressalein durch den Staat ausgesetzt. Ohne Auftrittserlaubnis konnte man nur illegal spielen. Mit Auftrittserlaubnis drohte Zensur und auch die Ächtung durch die eigenen Fans, von denen das viele als Verrat betrachteten.
Doch ob Die Firma, Die Art, Planlos, Namenlos, Rosa Extra oder Schleim-Keim – sie alle gaben mit ihrer Musik wichtige Impulse. Größter Verdienst der Neuauflage: Ihren Entwicklungen nachzugehen und zu zeigen, was 16 Jahre nach der Wende aus ihnen geworden ist. So erfährt man, dass außer Rammstein auch bekannte Bands wie Fleischmann, Tarwater, To Rococo Rot oder In Extremo aus alten DDR-Punk-Haudegen hervorgingen.
Mit erstaunlichen Fakten und einer Fülle an Wissenswertem ist Wir wollen immer artig sein das ultimative Werk zum Thema Punk in der DDR. Nicht umsonst ist die erste Auflage restlos ausverkauft. Es heißt also zugreifen, wenn diese Neuauflage erscheint!
Wir wollen immer artig sein von Ronald Galenza und Heinz Havemeister ist im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen.
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