
Wayne Hussey: „Fußballfans sind in der Regel nicht so intellektuell“
The Mission-Boss Wayne Hussey über seine neue Heimat Brasilien, seinen Lieblingsfußballclub FC Liverpool und natürlich über das neue Album „God Is A Bullet“, dass inhaltlich einige heiße Eisen anpackt.
Nord bei Nordost: „Wir rufen dich für dieses Interview in Brasilien an. Hast Du endgültig England den Rücken gekehrt? Und was verschlug Dich nach Brasilien?“
Wayne Hussey: „Meine Frau ist Brasilianerin. Wir wohnen auf dem Land, etwa zwei Stunden von Sao Paulo entfernt. Es ist hier schön grün und ruhig. Ein großer Vorteil ist, dass man in Brasilien relativ billig lebt, im Gegensatz zu England. Hier kann ich angenehm leben, ohne dass ich eine Menge Geld verdienen muss. Als Musiker weiß man ja nie, wann wieder Geld in die Kasse kommt.“
Nord bei Nordost: „Aber jetzt ist ja ein neues Album von The Mission erschienen…“
Wayne Hussey: „Nun, ich finde, dass es ein gutes Album ist, die Band findet das – natürlich hoffen wir, dass es auch ein Erfolg wird.“
Nord bei Nordost: “Der Titel lautet „God Is A Bullet“. Gott als Waffe? Welche Religion steckt in diesem provokanten Titel?“
Wayne Hussey: „Eine Religion steckt nicht dahinter. Wir waren einfach auf der Suche nach einem starken Titel. Dieser ist natürlich sehr suggestiv und verleitet zu Interpretationen. Gerade in diesen Zeiten nach dem 11. September…“
Nord bei Nordost: „Warum habt ihr „Keep it in the family“ als erste Single gewählt?“
Wayne Hussey: „Wir spielten „Keep it in the family“ schon auf der letzten Tour und merkten, dass der Song sehr eingängig ist. Ich fand, dass er sich als Single anbietet, aber die anderen Bandmitglieder waren zuerst nicht der Meinung. Dann haben wir mehr Gitarre hineingebracht, und plötzlich erwachte der Song zum Leben. Daneben gab es noch zwei, drei andere Favoriten für die erste Single, aber die Wahl fiel auf „Keep it in the family“.“
Nord bei Nordost: „Krass ist der Gegensatz zwischen der fröhlichen Popmelodie und dem Text über dunkle Familiengeheimnisse und die Andeutung von Missbrauch.“
Wayne Hussey: „Ja, tatsächlich ist es ein Song, den die Leute erst mal locker vor sich hinsingen, ohne sofort zu merken, um was es eigentlich geht. Letztendlich hat jede Familie ihre dunklen Seiten. Dieser Text geht in dieselbe Richtung wie „Amelia“, das allerdings viel zorniger klingt. „Keep it in the family“ schrieb ich nach einem Gespräch mit jemandem, der als Kind missbraucht wurde und sich jahrelang nicht traute, darüber zu reden – aus Angst, die eigene Familie zu verraten. Wenn der Song Diskussionen über dieses Tabuthema auslöst, oder auch nur einem einzigen Menschen hilft, bin ich sehr froh.“
Nord bei Nordost: „Das letzte Stück des Albums, „Grotesque“, prangert Grausamkeit gegenüber Tieren an. Was hat dich dazu bewogen, diesen Song zu schreiben?“
Wayne Hussey: „Es ist nicht richtig, Tiere derart zu quälen, nur um ein Stück Fleisch auf den Teller zu bekommen. Wir haben hier selbst eine ganze Menge Tiere und ich bin seit etwa sechs Jahren Vegetarier. Auch wenn wir Gäste haben, bekommen sie bei uns weder Fisch noch Fleisch, es sei denn, sie wollen es selber zubereiten.“
Nord bei Nordost: „Inhaltlich erinnert der Text an „Meat is Murder“ von den Smiths.“
Wayne Hussey: „Das war ein großartiger Song. Morrissey hat mit seinen Texten eine ganze Generation von Musikhörern beeinflusst. Es wäre schön, wenn wir mit „Grotesque“ auch ein paar Menschen zum Nachdenken bewegen können.“
Nord bei Nordost: „Du packst in den aktuellen Texten heiße Eisen an. Inwiefern haben sich deine Themenwahl und Arbeit an den Texten in 21 Mission-Jahren verändert?“
Wayne Hussey: „Anfangs war das Texten ja eine ganz neue Erfahrung für mich. Meine Sprache war damals nicht immer eindeutig. Vieles, was ich ausdrücken wollte, habe ich ein wenig verschleiert. Inzwischen habe ich gelernt, Texte mit klaren Aussagen zu schreiben.“
Nord bei Nordost: „Den Song „Draped in Red“ hast du dem Fußballclub FC Liverpool gewidmet. Wissen die Kicker das zu würdigen? Wird das die neue Vereinshymne?“
Wayne Hussey: (lacht) „Naja, in erster Linie wollte ich selbst damit meinen Lieblingsclub feiern. Tatsächlich lief „Draped in Red“ schon bei Heimspielen über die Stadionlautsprecher. Das hat mich riesig gefreut. Für mich ist das ein Traum, der in Erfüllung ging. Alle Spieler bekommen den Song jetzt zugeschickt – ich hoffe, sie mögen ihn. Der Text ist mehrdeutig angelegt. Wer nichts mit Fußball zu tun hat, könnte ihn auch als Lovesong verstehen, oder sogar die Geschichte von The Mission herauslesen, als Band, die wie Phoenix aus der Asche aufersteht. Fußballfans sind in der Regel nicht so intellektuell, deshalb funktioniert am besten ein eingängiger Text, der auf viele Situationen passt und Gefühle anspricht.“
Nord bei Nordost: „Verfolgst du auch in Brasilien alle Spiele des FC Liverpool?“
Wayne Hussey: „Ja. Die meisten werden im Fernsehen übertragen, und die anderen kann ich über einen Internetdienst ansehen.“
Nord bei Nordost: „Apropos Internet: The Mission ist sehr aktiv auf Web.02-Plattformen wie YouTube und MySpace. Wie wichtig sind diese neuen Web-Communities und Präsentationsformen heutzutage für eine Band?“
Wayne Hussey: „Für junge Bands ist es eine geniale Möglichkeit, ihrer Musik Gehör zu verschaffen. Und für uns ist eine großartige Plattform, um Infos und Neuigkeiten unmittelbar unter die Leute zu bringen. Den direkten Draht zu unseren Fans halten wir aber noch eher über unser MWIS-Forum.“
Nord bei Nordost: „Ihr habt im Internet sogar einen Video-Wettbewerb gestartet. Fans und andere ambitionierte Video-Freaks waren aufgerufen, ein Video zur neuen Single „Keep it in the family“ zu drehen. Was versprecht ihr euch davon?“
Wayne Hussey: „Natürlich erwarten wir kein Musikvideo in sendereifem MTV-Standard. Es kommt uns gar nicht so sehr auf die Qualität an, das Video wird sowieso vor allem im Internet laufen. Wir setzen auf den Einfallsreichtum der Fans. Hauptsache, am Ende kommt irgendetwas heraus, das man zeigen kann. Es ist nicht einmal wichtig, dass die Band im Video zu sehen ist. Unsere Gesichter müssen ja wirklich nicht überall drauf sein. Es gibt auch schon eine wunderbare Idee: Jemand schlug vor, dass Fans aus verschiedenen Ländern je fünf Sekunden Film beisteuern, auf dem sie ein Blatt Papier mit dem Wort „family“ in ihrer Sprache hochhalten, ergänzt um ein, zwei Sätze, was ihnen dieser Begriff bedeutet.“
Nord bei Nordost: „Ist das jahrelang unverzichtbare Musikvideo inzwischen ein Auslaufmodell?“
Wayne Hussey: „Ich glaube, dass dieses Medium wirklich Ermüdungserscheinungen zeigt. Videos, in denen eine Band ihre Songs runterspielt, hat man doch inzwischen x-fach gesehen. Das ist langweilig geworden. Wir haben so viel Geld in Videos gesteckt, und es wurden so viele produziert, die später nie gelaufen sind. Ich frage mich, ob es die Sache Wert ist. Heutzutage kann doch jeder ohne großen Aufwand sein eigenes Videos produzieren und ins Internet stellen. Die nötige Technik ist längst überall verfügbar. So kamen wir auf die Idee mit dem Wettbewerb.“
Nord bei Nordost: „Was sind das eigentlich für bizarre Kreaturen auf dem Cover der neuen CD?“
Wayne Hussey: „Das sind Zikaden. In unserem Garten in Brasilien gibt es sehr viele. Ihr Zirpen kann sehr laut werden. Das Faszinierende ist, dass sie ihre Eier in den Bäumen ablegen, dann fallen die Eier irgendwann herunter und können bis zu 20 Jahren im Boden bleiben, bis die Zikaden schlüpfen. Was man auf dem Cover sieht, sind die Kokons, die übrig bleiben, wenn die Zikaden ausgeflogen sind. Meine Frau hat einige aufgesammelt und im Haus als Dekoration verwendet. Das sah richtig toll aus. So kam uns die Idee für das Coverfoto. Wir wollten diesmal ein Cover, das sich von allen bisherigen unterscheidet. Nicht so düster wie früher, sondern ein helleres, leichteres Motiv, was ja auch der Musik auf dem neuen Album entspricht. Außerdem gefiel mir die Vorstellung von Kreaturen, die 20 Jahre im Untergrund ausharren, um dann ans Licht zu kommen.“
Nord bei Nordost: „Hört man da gewisse Parallelen? Beispielsweise zu einer „Untergrund“-Band, die nach 21 Jahren ans Licht will?“
Wayne Hussey: (lachend) „Tja, eine gewisse Analogie steckt da durchaus drin. Auch wir sind nach 20 Jahren immer noch da, fliegen umher und singen…“
Nord bei Nordost: „Vielen Dank für das Interview.“
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