
THEATRE OF TRAGEDY „Wir waren ehrlich zu uns selbst“
Eine neue Stimme in ein festes Bandgefüge zu integrieren, ist – besonders wenn die Vorgängerin Liv Kristine heißt – nicht ohne Risiken. Theatre Of Tragedy haben das gewagt und gewonnen. Im gothmund-Interview gerieten Drummer Hein Frode Hansen und Keyboarder Lorentz Aspen regelrecht ins Schwärmen, als sie von ihrer neuen Sängerin Nell sprachen.
Nord bei Nordost: „Es ist eure erste große Tour mit dem neuen Album „Storm“ und eurer neuen Sängerin Nell. Wie sind die Reaktionen des deutschen Publikums?“
Lorentz: „Die Reaktionen auf unserer Website und auch, was wir über die neue CD so hören sind gut. Alle sagen, Nell wäre eine extrem gute Sängerin. Sie ist sehr charismatisch und hat eine gute Bühnen-Performance. Sie passt sehr gut zur Band.“
Nord bei Nordost: „Gibt es Unterschiede in der Zusammenarbeit mit Nell, verglichen mit ihrer Vorgängerin Liv Kristine?“
Hein: „Bei Theatre Of Tragedy ist es so, das generell alle Musiker die Songs schreiben. Wir arbeiten zusammen als Gruppe und machen so Musik. Dann nehmen wir Demo-Versionen auf und geben diese unseren Sängern. Früher Raymond und Liv, jetzt eben Raymond und Nell. Daran hat sich nichts geändert. Die Band schreibt und arrangiert die Songs. Die Sänger singen dazu. Nell bringt mehr Ideen zur Musik ein, sie gibt der Sache frischen Schwung. Mehr als Liv das getan hat.“
Lorentz: „Sie bringt Ideen ein, auf die alle Jungs, die seit Jahren in der Band sind, niemals gekommen wären.“
Hein: „Sie hinterfragt Dinge: Warum macht ihr das nicht so und so, das wäre viel leichter. Und wir sagen dann: Wow, darüber haben wir noch nie nachgedacht. Außerdem sie ist auch viel mehr in das Schreiben der Texte involviert und setzt ihre Stimme ganz anders ein.“
Nord bei Nordost: „Nell schreibt also auch Texte?“
Hein: „Ja, sie und Raymond arbeiten zusammen. Sie haben rege Diskussionen. Raymond ist nämlich ein lyrischer Fanatiker.“
Lorentz: „Er will die Dinge so haben, wie er es sieht. Jetzt ist es quasi ein Dialog, ein komplett neuer Weg, Texte zu schreiben.“
Hein: „Das hatten wir in der Vergangenheit nicht so. Die Texte sind jetzt inhaltlich wichtiger geworden. Nell will stärker bestimmen, was sie singt. Deshalb müssen die beiden immer einen Mittelweg finden.“
Lorentz: „Sie singt über Dinge, die ihr wichtig sind. Das wirkt sich natürlich auch auf die Show aus, weil sie das besser rüber bringt.“
Nord bei Nordost: „Habt eigentlich jemals darüber nachgedacht, gerade nach dem Weggang von Liv, die Band aufzulösen?“
Hein: „Nein, das Wesen der Band ist immer die Gegenwart. Und wer gerade in der Band ist. Jedes Mitglied ist gleich wichtig, jedoch wird nie ein spezielles Mitglied Theatre of Tragedy ausmachen.“
Lorentz: „Theatre Of Tragedy ist keine Band mit nur einem hübschen Gesicht im Vordergrund…“
Nord bei Nordost: „Wer ist denn nun wirklich Theatre Of Tragedy? Es gab ja einige Besetzungswechsel in den vergangenen Jahren.“
Hein: „Es sieht nach außen hin so aus, als hätte es viele Wechsel gegeben. Aber eigentlich wechselte nur ein Mitglied pro Album.“ (lacht)
Lorentz: „Wir haben sechs Bandmitglieder und sechs Ex-Bandmitglieder. Für mich ist es aber wichtig, dass Hein, Raymond und ich dabei sind. Wir drei gehören zum Original Line-Up. Wir sind seit mehr als 13 Jahren zusammen in der Band und kennen uns sehr gut. Ich denke, die Band würde ohne uns nicht existieren. Jeder andere ist ersetzbar. Aber ich glaube, wir haben momentan ein sehr solides Line-Up. Und wir verbringen auch sehr viel Freizeit miteinander. Wir sind mehr denn je eine Gruppe, früher waren es eher verschiedene Fraktionen, die miteinander abgehangen haben. Das ist jetzt anders.“
Nord bei Nordost: „Wie seid ihr eigentlich zu Nell gekommen?“
Hein: „Wir haben sie auf einer Live-Show gesehen. Sie hat mit ihrer Band The Crest gespielt und wir waren beeindruckt von ihrer Stimme und ihrer Bühnenshow. Da haben wir uns angesehen und gesagt: So, wir haben eine neue Sängerin. Sie hat den Job.“
Lorentz: „Wir kannten sie schon, bevor wir Liv gefeuert haben.“
Hein: „Ich habe sie einen Tag nachdem wir uns von Liv getrennt hatten angerufen und gesagt: „Hi, ich bin’s, Hein von Theatre. Möchtest Du unsere neue Sängerin werden?“ Und sie sagte: „Ja“. Sie war unsere einzige Kandidatin, wir haben niemals eine andere Sängerin ausprobiert.“
Nord bei Nordost: „Und wenn Nell Nein gesagt hätte?“
Lorentz: „Keine Ahnung, was dann gewesen wäre. Vielleicht hätten wir aufgehört. Keine Ahnung, wirklich.“
Nord bei Nordost: „Wonach wählt ihr eure älteren Songs aus, die jetzt von Nell gesungen werden?“
Lorentz: „Wir spielen die Songs, mit denen wir uns am wohlsten fühlen. Einige haben wir aussortiert, die passten uns nicht mehr ins Konzept. Aber es gibt auch einige, ohne die geht’s nicht. Die spielen wir bei jeder Show. Im Allgemeinen spielen wir auf der Tour aber eine Menge neuer Songs von „Storm“.“
Hein: „Wir versuchen uns Gedanken über die Leute zu machen, die zu den Shows kommen und was sie hören wollen. Aber wir denken auch an uns als Band, was uns gefällt zu spielen.“
Nord bei Nordost: „Ihr seid die Voreiter im Bereich Gothic, wenn es darum geht finstere männliche Vocals mit einer sanften Frauenstimme zu kombinieren. Mittlerweile gibt es viele Bands, die so oder ähnlich performen. Wie würdet ihr eure Stellung in der Musikszene des Jahres 2006 beschreiben?“
Hein: „Wir haben in letzter Zeit beobachtet, dass viele Leute unseren Namen nennen, wenn es um diese Art von Musik gehr. Klar gibt es inzwischen viele bekanntere Bands. Aber viele Leute erinnern sich, dass unser erstes Album von 1994 stammt. Und wir haben niemals zwei stilistisch gleiche Alben veröffentlicht. Wir haben uns immer weiterentwickelt, immer neue Ideen überlegt. Viele Leute sagen, wir wären nicht ehrlich zu unseren Fans gewesen, aber wir waren ehrlich zu uns selbst. Das ist wichtig.“
Lorentz: „Wenn wir immer wieder das gleiche gemacht hätten, wären unsere Shows sicherlich ausverkauft.“
Hein: „Für die gesamte Szene ist es schön, dass Bands wie Nightwish uns als Einfluss angeben. Das zeigt uns, wie wichtig wir sind. Die Szene ist da angekommen, wo wir angefangen haben. Wir hätten „Storm“ als großes, pompöses Gothic-Album veröffentlichen können, mit Operngesängen und so weiter. Und die Leute würden uns mit Nightwish oder Within Tempation vergleichen – was lustig ist – denn die haben weitaus später mit dieser Art von Musik angefangen.“
Lorentz: „Storm ist aber ein Rock-Album, mit ruhigen Piano- und Keyboardlinien und kein pompöses Opernwerk.“
Hein: „Wir sind sehr gespannt, wie die Leute reagieren, denn wir wissen nicht, wo wir heute stehen.“
Nord bei Nordost: „Profitiert ihr vom Erfolg von Bands wie Nightwish?“
Hein: „Das könnte sein, auch wenn unsere Musik nicht so pompös und orchestral ist. Aber durch Nightwish werden die Leute eher an diese Art von Musik heran geführt. Und sie werden auf Bands wie uns aufmerksam.“
Nord bei Nordost: „Glaubt ihr heute, der stilistische Wechsel von „Aegis“ auf das Album „Musique“ kam zu früh?“
Lorentz: „Auf jeden Fall. Wir waren mit jedem Album unserer Zeit voraus. Hätten wir das Album 2004, statt 2000 herausgebracht, wir hätten viel mehr verkauft, weil es diesen fetten majestätischen Sound hat.“
Hein: „Es war auch für viele Fans zu früh. Darüber haben wir auch gesprochen, als wir das neue Album aufgenommen haben. Wir wollten einen Mittelweg zwischen „Aegis“ und „Musique“ finden. Damals waren wir so begeistert von all der Technik, die man nutzen konnte und waren ein wenig blind, wie unsere Fans reagieren würden. Wir wollten unbedingt neu und einzigartig sein. Viele haben damals gedacht, wir wären nur am Kommerz interessiert und wollen große Rockstars sein, weil wir zu einem Majorlabel gewechselt waren. Dabei haben wir die komplette Produktion von „Musique“ selbst bezahlt. Das waren 50 000 Euro. Und erst dann sind wir zu den Labels gegangen, mit dem komplett fertigen Album, inklusive Artwork.
Nord bei Nordost: „Könnt ihr mit in ein paar Worten sagen, was die Musik von Theatre Of Tragedy heute ausmacht?“
Lorentz: „Die Melodien! Und unser Gothic-Rock-Metal-Sound.“
Hein: „Darkedged Rock sagte mal jemand. Es ist greifbar und melodisch, gleichzeitig melancholisch und trotzdem heavy, ohne Heavy-Metal zu sein.“
Lorentz: „Darkedged-Rock-Metal mit weiblichem Gesang.“ (lacht)
Nord bei Nordost: „Vielen Dank für das Interview.“
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Theatre Of Tragedy: Lorentz (Foto: 2.v.l.), Hein (Foto: 2.v.r.) (Foto: AFM Records)
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