
MERALUNA-FESTIVAL 2006 – Hier gibt es so viel zu entdecken
„Die Atmosphäre hier ist unvergleichlich“. Eine Aussage, die man immer wieder hört, wenn man nach den Gründen für einen Besuch auf dem Meraluna-Festival 2006 fragt. Auch Julia, Ulli, Nico und Daniel aus Magdeburg geraten dabei ins Schwärmen. Die Clique hat es sich auf Campingstühlen zwischen ihren Zelten bequem gemacht, man trinkt etwas, quatscht und ist entspannt. Ein paar Bands wollen sie natürlich auch sehen, schließlich wäre der Eintrittspreis von 69 Euro nur fürs Campen allein etwas zu teuer, wie Ulli feststellt. Aber nur die Musik alleine macht dieses Festival für sie und viele andere Besucher nicht aus.
„Das ist hier kein normaler Konzertbesuch“, sagt Daniel. „Man trifft Freunde, sieht cool gestylte Leute und genießt das ganze Drumherum. Wenn du einmal auf einem anderen Open Air warst, dann weißt du erst, wie schön es hier ist.“ Schließlich ist das Gothic-Festival auf dem Hildesheimer Regionalflugplatz Drispenstedt längst zu einem Gesamtkunstwerk geworden. Kunstvoll errichtete Zeltburgen, altertümliche Wohnmobile, die fantasievollen Outfits vieler Besucher und ein abwechslungsreiches Musikprogramm machen aus dem Gelände schon seit zehn Jahren für ein Augustwochenende eine kleine, aber durchaus lebendige schwarze Stadt.
Mit DMODE 66 von Tallinn nach Hildesheim
„Hier kannst du ruhig allein herfahren, du lernst garantiert andere Leute kennen“, ist die schönste Erfahrung von Torben aus Kiel. Er schätzt besonders den freundlichen Umgang der Gothics untereinander: „Hier gibt es so viele Geschichten zu entdecken“, schwärmt er. „Da könnte man Bücher drüber schreiben“.
Es sind die kleinen, unscheinbaren Gesten und Episoden, die dieses ganz spezielle Flair ausmachen. Wie etwa die Verkäuferin am Bierstand, die meiner Bestellung in den Lärm von Ministry nach ruft, dass sie selbst mit dieser lauten Musik leben kann, weil das Publikum hier das Allerbeste ist. „So nette Leute habe ich auf keinem anderen Festival erlebt“, ruft sie gegen die laute Musik.
Oder die Geschichte von Tarmo und seinen Freunden, die extra wegen des Meraluna Festivals den weiten Weg von Estland nach Hildesheim auf sich nahmen. Mit dem Jeep, Kennzeichen DMODE 66, per Fähre von Tallinn nach Stockholm und dann weiter über Dänemark nach Deutschland. Zwei Tage Anreise, zwei Tage Festival, zwei Tage Rückreise. Und als am Sonntagabend bereits die erste große Abreisewelle rollt, verabschieden sich an der Zufahrt zum Wohnmobilstellplatz Besucher und Security mit den Worten „bis zum nächsten Jahr“ voneinander.
Meraluna-Festival 2006: Wachsendes Interesse aus Osteuropa
22.000 Besucher waren am 12. und 13. August nach Hildesheim gekommen. Eine konstante Besucherzahl im Vergleich zu den vergangenen Jahren, die nach Vorstellung des Veranstalters Scorpio die 25.000 auch nicht überschreiten sollte. „Kommerzialität ist ein zweischneidiges Schwert“, so Carsten Roth von der Presseabteilung des Veranstalters Scorpios. Doch er und seine Kollegen beobachten gerade ein wachsendes Interesse am Meraluna-Festival aus Osteuropa. Besonders aus Polen und Russland kommen immer mehr Akkreditierungsanfragen und Ticketbestellungen.
Und auch die Stadt Hildesheim hat das Potenzial des Open Airs vor ihrer Haustür erkannt und 2006 erstmals einen Infobus auf das Gelände gestellt. Dort berät Keno Hennecke vom Verkehrsverein der Domstadt Interessierte über Bahn- und Busverbindungen, Hotels und kulturelle Einrichtungen. „Von Privatpensionen bis zum Vier-Sterne-Hotel ist hier am Meraluna-Wochenende alles ausgebucht“, weiß er. Und nach anfänglicher Skepsis finden es die Einwohner inzwischen cool, wenn sich ihre Stadt schwarz färbt.
Bauhaus: glücklich oder gewöhnungsbedürftig
Das musikalische Programm beim Meraluna-Festival 2006 bot wieder viele Leckerbissen und für jeden Geschmack etwas. „Das Line-Up ist diesmal etwas elektronischer, weil die Fans sich das nach 2005 so gewünscht hatten“, erzählt Carsten Roth. Zu den Highlights gehörten sicherlich die Auftritte von den Krupps, Nitzer Ebb, ASP, Unheilig, Apoptygma Berzerk, In Extremo und Within Temptation.
Am Samstags-Headliner Bauhaus schieden sich dagegen die Geister. Die Gothic-Urgesteine, zwischenzeitlich längst aufgelöst, konnten nicht jeden überzeugen. „Glücklich sie hier zu haben“, lautet das Fazit des Veranstalters. „Gewöhnungsbedürftig“ fand es die Clique aus Magdeburg. Eine der dienstältesten deutschen Gothic-Bands, Girls Under Glass, feierte ihr 20-jähriges Bandjubiläum auf dem Festival. Viele Besucher des Open Airs sind weitaus jünger. Unterstützt wurde die Kapelle bei ihrem Geburtstags-Gig von so illustren Gästen wie Oswald Henke (Goethes Erben), Peter Spilles (Project Pitchfork) und Eric Burton (Catastrophe Ballet).
„Überall riecht’s nach Patchouly“
Jede Menge Verkaufsstände, die vom Sarg bis zum Piercingschmuck alles anbieten, was das Gothic-Herz begehrt sowie eine große Auswahl an Speisen und Getränken sorgen dafür, dass sich die Gäste auch zwischen den Auftritten der 40 Bands die Zeit vertreiben und sich wohlfühlen können. Auch dafür gibt es Anerkennung von den Magdeburgern. „Ich finde es gut, dass es nicht nur Bier gibt, sondern auch Cocktails, Wein und Prosecco“, meint Julia.
Und was sagt jemand, der zum ersten Mal auf dem Meraluna ist? Peter, auch aus Magdeburg und sonst eher auf Techno-Festivals unterwegs: „Hier sind kaum Drogen im Umlauf und überall riecht’s nach Patchouly.“
Die Polizei jedenfalls hat gerade wegen der quasi nicht vorhandenen Drogenproblematik und der friedlichen Stimmung überhaupt keine Sorgen mit der Veranstaltung. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte ein Sprecher nach dem Event, es habe noch nie Randale oder Probleme beim Meraluna-Festival gegeben.
„Ich könnte hier glatt ’ne ganze Woche bleiben“
Als die letzten Klänge von Within Temptation, dem Headliner des Sonntags, verklingen, und ein Feuerspucker auf dem Festivalvorplatz mit seinen Kunststücken die Nacht ein wenig erhellt, macht sich ein Teil der Besucher schon auf den Heimweg. Allen andern feiern noch ein bisschen weiter und reisen am Montag ab. Mit vielen tollen Eindrücken im Kopf und sicherlich auch etwas wehmütig. „Echt schade, dass wir schon am Sonntagabend fahren müssen“, sagt Nico, der am Montag gleich wieder arbeiten muss. „Ich könnte hier glatt ’ne ganze Woche bleiben.“
Foto: Besucher auf dem Meraluna-Festival 2006 (Quelle: gothmund)
Mehr zum Meraluna-Festival auf Nord bei Nordost:
Reportage vom Meraluna-Festival 2007
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