
IN EXTREMO – Modernes Mittelalter
Zwei Jahre sind seit „Sünder ohne Zügel“, dem letzten Album von In Extremo vergangen. Eine ereignis- und erfolgreiche Zeit für die sieben Spielleute vom Prenzlauer Berg. Ausverkaufte Tourneen in Deutschland, Fan-Hysterien in Mexiko, eine Echo-Nominierung und jüngst der Chartseinstieg mit der Single „Küss mich“ – da sage noch einer, die Kombination aus Mittelalter und Rockmusik wäre nicht salonfähig. Nord bei Nordost traf Sänger Das letzte Einhorn und Gitarrist Van Lange in Frankfurt, um über das neue Album „Sieben“ zu plaudern.
Nord bei Nordost: „Ihr habt es wieder geschafft, euch weiter zu entwickeln und dabei euren Traditionen treu zu bleiben. Dennoch habe ich den Eindruck, besonders nach dem Hören der Single „Küss mich“, dass ihr viel moderner und weniger mittelalterlich klingt. Ein Zugeständnis an den Mainstream, um aus der Nische Mittelalter-Rock raus zukommen?“
Das letzte Einhorn: „Das Album ist schon ein Stück moderner. Es ist aber auch deutlich mittelalterlicher als ‚Sünder ohne Zügel‘.“
Nord bei Nordost: „Für ‚Sieben‘ habt ihr mit einem neuen Produzenten-Team zusammengearbeitet. Wie war die Kooperation und welchen Einfluss hatten die Beiden auf eure Musik?“
Van Lange: „Die Zusammenarbeit war sehr fruchtbar. Wir haben alles komplett im Studio von Vince Sorg und Jörg Umbreit (Produzenten von H-Blockx, Donots, Anm. d. Red.) eingespielt, aufgenommen und gemixt. Vor allem aber hatten wir diesmal genug Zeit. So konnten wir uns ausgiebig den akustischen Instrumenten widmen. Das dauert nämlich immer eine ganze Weile, bis die genau abgestimmt sind.“
Das letzte Einhorn: „Wie das Ergebnis letztendlich anzuhören ist, bestimmen natürlich wir. Da lassen wir uns nicht die Butter vom Brot nehmen. Aber so ein erfahrenes Produzenten-Ohr ist schon eine Menge wert.“
Nord bei Nordost: „Es gibt wieder sehr schöne, emotionale Songs erschaffen. Besonders ‚Ave Maria‘ und ‚Mein Kind‘ sind wahre Ohrwürmer. Was sind das für Lieder?“
Das letzte Einhorn: „‘Ave Maria‘ ist ein traditionelles Stück. Das wollten wir schon immer machen, aber erst diesmal hat es funktioniert. Es entstammt der ‚Libre Vermell‘, einer spanischen Liedersammlung und ist das klassische, heilige ‚Ave Maria‘. Wir haben dem lateinischen Originaltext aus dem 13. Jahrhundert nur unsere eigene Melodie gegeben. Und ich glaube auch, dass wir es sehr gut hingekriegt haben. Wir alle mögen den Song sehr.“
Van Lange: „Eigentlich sollte der Song in seiner ursprünglichen Version gar nicht auf‘s Album. Aber dann haben wir uns des Stücks noch mal angenommen. Und jetzt ist es unser Lieblingslied.“
Das letzte Einhorn: „Was lange währt, wird gut.“
Nord bei Nordost: „Und „Mein Kind“?“
Das letzte Einhorn: „Das ist eine sehr persönliche Geschichte, über die ich nicht reden möchte.“
Nord bei Nordost: „Wenn man so oft auf Tour ist wie ihr, wann und wo findet man da die Zeit, neue Songs aufzunehmen? Unterwegs?“
Das letzte Einhorn: „Nee, im Proberaum. Wir hatten uns einen festen Termin vorgenommen, um ins Studio zugehen und die neue Platte einzuspielen. Als es dann aber soweit war, brauchten wir schon einen Arschtritt, um auch wirklich in die Gänge zu kommen. Aber unterwegs, so zwischen Tür und Angel, da geht das nicht.“
Van Lange: „Die Ideen für die Songs entstehen natürlich auch auf Tour oder zu Hause. Wenn wir so fünf, sechs Song-Ideen beisammen hatten, sind wir zwischen den Tourneen in den Proberaum gegangen, haben an den Melodien und an den Texten gefeilt, die Mittelalter-Instrumente integriert. Und mit diesem Grundgerüst ging es dann ins richtige Studio.“
Das letzte Einhorn: „18 Songs sind so entstanden.“
Nord bei Nordost: „Der Song „Albtraum“ sticht rein textlich aus dem Album heraus. Ich finde ihn recht untypisch für In Extremo…“
Das letzte Einhorn: „Das ist einer meiner Lieblingssongs! Der Text ist zum Teil von uns, zum Teil stammt er aus dem 18. Jahrhundert und ist so was von schwarzhumorig. Das passt genau zu uns. Denn wir lieben schwarzen Humor und wir können über uns selber lachen. Und der Name „Albtraum“ sagt doch schon alles. Das ist eine Traumgeschichte, die Millionen Menschen morgens nach dem Aufwachen haben. Die Leute sollen sich den Text ruhig genau anhören. Der Traum wird übrigens ganz am Schluss aufgelöst, bevor der Song abrupt endet.“
Nord bei Nordost: „Auch den „Erdbeermund“ von Francois Villon habt ihr vertont. Ein Gedicht, das einst durch Klaus Kinski berühmt wurde. Euer Intro bei Konzerten wird auch von Kinski gesprochen. Seid ihr Fans?“
Das letzte Einhorn: „Zum einen lieben wir Villon. Jedes unserer Alben schmückt ein Text von ihm. Er verkörpert für mich die Dichtung des späten Mittelalters. Und natürlich sind wir Kinski-Fans. Das war schon eine Kanaille, die es nur einmal gab. Ein Exot! Wer mag ihn nicht?“
Nord bei Nordost: „Zur Präsentation eurer Single „Küss mich“ ward ihr bei VIVA-Interaktiv. Die Moderatorin machte einen leicht überforderten Eindruck? Wie war der Auftritt für euch?
Das letzte Einhorn: „Wir hatten vorher die Ansage bekommen, ja nicht in Mittelalter-Klamotten zu erscheinen. Aber wir haben uns nicht daran gehalten. Die Moderatorin war total perplex, aber richtig gut drauf. Hinterher hat sie uns erzählt, dass sie die Sendung seit fünf Jahren macht, aber so was Geiles wie uns noch nie gesehen hat.“
Nord bei Nordost: „Welches Feedback gab es sonst auf diesen Auftritt?“
Das letzte Einhorn: „Es gab viele Reaktionen von Fans. Einige konnten es gar nicht verstehen, dass wir zu VIVA gegangen sind. Das ist doch total dumm. Aber diese Leute hast du immer. Das sind die, die dich am liebsten nur für sich allein in ihrem Wohnzimmer spielen lassen würden.“
Van Lange: „Das Gros der Fans freut sich aber darüber. Die sehen lieber uns auf VIVA als Jeanette Biedermann.“
Das letzte Einhorn: „Wir wurden jetzt auch zu „Top Of The Pops“ eingeladen. Das haben wir aber abgelehnt. Denn man sollte auch nicht alles machen. Und gerade „Top Of The Pops“ ist nicht unser Milieu. Aber von einem Musiksender gespielt zu werden, ist okay. Zumal „Küss mich“ nicht auf VIVA zugeschnitten wurde. Der Song ist so entstanden, wie er jetzt klingt. Wir stehen zu jedem einzelnen unserer Lieder. Sonst wären sie nicht auf dem Album. Von Seiten der Plattenfirma quatscht uns keiner rein. „Vollmond“ war seinerzeit viel kommerzieller angelegt.“
Nord bei Nordost: „Hat das Genre Mittelalter-Rock seinen Zenit überschritten?“
Van Lange: „Nein. Ich denke, es hat ihn noch nicht einmal erreicht. Es gibt viele neue frische Bands. Die Qualität stimmt auch bei den meisten. Schandmaul zum Beispiel. Super Live-Band, total angenehme und nette Leute.“
Nord bei Nordost: „Masse bürgt aber oftmals nicht automatisch für Qualität. Ist auf Dauer nicht eine Verwässerung zu befürchten?“
Van Lange: „Da magst du nicht Unrecht haben. Aber wir machen eh unser Ding und gucken nicht bei anderen ab.“
Das letzte Einhorn: „Außerdem ist es doch besser, junge Leute machen solche Musik, als Telefonzellen kaputt zu schlagen (lacht).“
Nord bei Nordost: „Würde euch die Arbeit an einer Filmmusik reizen? Die zu einem Computerspiel („Gothic“) habt iht ja bereits komponiert.“
Das letzte Einhorn: „Warum nicht.“
Nord bei Nordost: „Müsste das dann ein Film über das Mittelalter sein?“
Das letzte Einhorn: „Nicht unbedingt. Es kommt auf das Konzept an. Aber egal worum es sich handeln würde, wir würden mit unseren mittelalterlichen Instrumenten arbeiten.“
Van Lange: „Das wäre bestimmt geil. Bei Soundtracks kann man große atmosphärische Sounds aufbauen, mit Schalmeien und so. Aber leider haben wir so einen Auftrag noch nicht bekommen. Und für unseren eigenen Film fehlt uns das Geld.
Nord bei Nordost: „Was wünscht ihr euch für Album und Tour?“
Das letzte Einhorn: „Es kommt, wie es kommt. Wir wissen, dass wir eine gute Platte gemacht haben. Sie ist wie immer ehrlich und handgemacht. Und ich hoffe, sie wird genauso erfolgreich wie ihre Vorgänger.“
Nord bei Nordost: „Vielen Dank für das Interview.“
Das Interview wurde im Juli 2003 geführt.
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