Goethes Erben

GOETHES ERBEN: Was war, was bleibt, was wird?

Der Titel des Goethes Erben Albums „Nichts bleibt wie es war“ ließ einiges an Spekulationen offen. Denn schon Anfang 2001 ließ das Duo Oswald Henke und Mindy Kumbalek verlauten, dass erst nach erfolgreichen Live-Tests der neuen Titel im Frühjahr desselben Jahres eine Entscheidung über die Veröffentlichung gefällt wird. Nun ist die Platte also da.

Ob ihr Titel aber als Frage an die Zukunft oder als abschließende Feststellung betrachtet werden kann, liegt einzig und allein am Blickwinkel. So jedenfalls steht es im Booklet. Aus welchem Blickwinkel Goethes Erben selbst die Sache sehen, versuchte Nord bei Nordost beim Interview zu klären. Doch zuerst drängte sich eine Frage nach dem Inhalt des Titelsongs auf, welcher durch die Ereignisse am 09.11. in den USA plötzlich eine beängstigende Aktualität bekam.

Nord bei Nordost: „Euer neues Albums ist in drei Kapitel unterteilt. Teil zwei heißt „Zornige Utopien“ und beginnt mit dem Titel „Nichts bleibt wie es war“. Worte, die man nach den Terroranschlägen gegen die USA in letzter Zeit oft hörte. Und auch der Text liest sich wie eine böse Vorahnung dieser Geschehnisse und hat dadurch seit dem 11. September eine ganz neue und aktuelle Bedeutung bekommen. Seid ihr selbst erschrocken, wie schnell so eine Utopie traurige Wahrheit werden kann?“

Oswald: „Ja. Das ist ja das Gewagte, dass wenn man über die Zukunft philosophiert, sie sehr schnell wahre Züge bekommen kann. Obwohl es bei „Nichts bleibt wie es war“ um eine viel größere Katastrophe, eine Atombombenexplosion, geht. Aber dieses Grauen entsteht natürlich auch, wenn ein Flugzeug in ein Hochhaus rast. Auch da sind die Menschen bei lebendigem Leib verbrannt.“

Nord bei Nordost: „Mindy, wie siehst du als Amerikanerin diese Anschläge?“

Mindy: „Ich war sehr betroffen. Zum Glück lebt meine Familie nicht in New York. Freundinnen von mir waren zu dem Zeitpunkt zwar dort, doch denen ist nichts passiert.“

Nord bei Nordost: „Ist das ein Vorfall, der sich mal in eurem künstlerischen Output niederschlagen könnte?“

Mindy: „Nein. Wir sind und waren nie eine politische Band und behandeln keine politischen Themen direkt.“

Nord bei Nordost: „Die Frage, die sich alle stellen, ist ja, wie geht’s weiter mit Goethes Erben? Eure Worte im Booklet sind sehr doppeldeutig. Könnt ihr eine konkrete Aussage treffen?“

Oswald: „Wir werden in diesem Jahr „Nichts bleibt wie es war“ noch zwei Mal aufführen und unsere DVD fertigstellen. Das wird die optische Umsetzung des kompletten Albums. Wir drehen ein Video zur Single „Glasgarten“. Und ab Januar 2002 werden wir auf Tour gehen, um das Album noch zehn, elf Mal auf die Bühne zu bringen.“

Nord bei Nordost: „Stichwort „Glasgarten“: Als Gastsänger ist Peter Heppner von Wolfsheim zu hören. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?“

Oswald: „Das Stück gibt es ja schon länger. Und ich war immer der Meinung, dem Lied fehlt etwas: nämlich eine schöne Stimme im Refrain als Gegensatz zu meiner erzählenden Stimme. Denn die grenzt in dem Song ja schon fast an Rap. Ich habe dann überlegt, wer in Frage kommen würde und da sind Mindy und ich eben auf Peter Heppner gestoßen. Ich wollte nämlich keine nur schöne Stimme, sondern eine Stimme, die ganz viel aussagt. Auf der letztjährigen German-Alternative-Music-Award-Verleihung haben wir uns dann darüber unterhalten. Danach habe ich ihm den Song zugeschickt und bekam etwas später eine Fassung mit seiner Stimme zurück. Das war’s eigentlich schon. Die Single erscheint übrigens als Goethes Erben/Peter Heppner.“

Nord bei Nordost: „Wie wird das Video aussehen? Verrätst du schon etwas?“

Oswald: „Naja. Wir werden jedenfalls kein Märchen erzählen. Es geht um Gefühle, Vertrauen und die Zerbrechlichkeit. Es wird anders, als normale Clipregisseure das Thema umsetzen würden.“

Nord bei Nordost: „Habt ihr Hoffnung, dass die Musiksender das Video ausstrahlen?“

Oswald: „Die Hoffnung hat man natürlich. Ob die Chance groß ist, weiß ich nicht. Vielleicht hat die Single solchen Erfolg, dass die Sender dazu gezwungen werden. Das fände ich sehr witzig, wenn VIVA uns spielen müsste.“

Nord bei Nordost: „Dazu müsstet ihr wohl phänomenal in die Charts einsteigen.“

Oswald: „Das ist wohl nicht wahrscheinlich.“

Nord bei Nordost: „Wie wird es denn nun nach der Tour im Januar mit Goethes Erben weitergehen? Gibt es in absehbarer Zeit neue Aktivitäten?“

Oswald: „Für uns ist jetzt „Nichts bleibt wie es war“ und das wird uns bis mindestens Mitte nächsten Jahres beschäftigen. Im Moment habe ich auch gar keine große Lust, weiter über die Zukunft nachzudenken. Warten wir erstmal die politischen Entwicklungen ab, ob sich das noch rentiert.“

Nord bei Nordost: „Rückblickend gesehen, spiegelt „Nichts bleibt wie es war“ mit seinen drei musikalisch sehr unterschiedlichen Kapiteln euer Gesamtschaffen wider…“

Oswald: „Wunderbar festgestellt! So war das auch gedacht. Das ganze Album ist eine Reflexion der Historie von Goethes Erben.“

Nord bei Nordost: „Ihr seid mit den Songs der aktuellen CD ja bereits im Frühjahr getourt, um zu sehen, wie sie beim Publikum ankommen. Erst dann fiel die Entscheidung, die Platte zu veröffentlichen. Habt ihr wirklich geglaubt, das Programm wird ein Misserfolg?“

Oswald: „Das nicht. Aber wir wollten die Resonanz in Sachen Zuschauerzahlen abwarten. In meinen Augen macht es nur Sinn etwas aufzunehmen und zu veröffentlichen, wenn auch Interesse daran besteht, dass mal jemand die CD kauft. Wenn ich die letzten zwei Jahre betrachte, kaufen immer weniger Leute CDs. Die besorgen sich das wohl irgendwo anders.“

Mindy: „Wir spielen aber auch gerne neue Sachen erst live. Viele Songs entwickeln sich dadurch über die Zeit. Ich finde es schön, Songs erst live zu spielen, bevor man ins Studio geht. Und unser Publikum kennt das so von uns. Die Fans freuen sich, dass sie bei Konzerten ganz neue Stücke hören.“

Oswald: „Wir machen ja keine Pop- oder Rockkonzerte…“

Nord bei Nordost: „Ihr inszeniert eure Musik und schafft damit eine eigene Atmosphäre. Trotzdem spielt ihr auf großen Festivals, wo diese Atmosphäre fehlt. Der Fans wegen?“

Oswald: „Nee, eher nicht wegen der Fans. Sondern für die Leute, die uns vom Namen kennen, aber nicht genau wissen was wir machen. Die darauf hinzuweisen, dass wir nicht so sind, wie der Ruf, der uns vorauseilt, ist einer der Gründe.“

Nord bei Nordost: „Welcher Ruf eilt euch voraus?“

Oswald: „Das wir eine turbodüstere Band sind, die nicht bei Tageslicht funktionieren kann. Unser Konzert beim Meraluna hat doch aber gezeigt, dass wir auch das meistern können. Wir hatten noch nie so viele Resonanzen nach einem Auftritt. Natürlich funktioniert ein Konzept wie „Nichts bleibt wie es war“ auf einem Festival nicht. Da spielt man eben ein so genanntes „Best Of“. Es ist halt eine Werbeverkaufsveranstaltung. Wir sind Goethes Erben und wir machen Werbung für uns! Vielleicht weckt es das Interesse bei den Leuten und sie besuchen mal ein richtiges Konzert oder kaufen eine CD.“

Nord bei Nordost: „Gab es in eurer Karriere mal so einen richtigen Misserfolg?“

Oswald: „Nur finanzieller Art. „Kondition Macht“ war trotz ausverkauftem Haus ein ziemliches Desaster. Deshalb bin ich bei solchen Sachen vorsichtiger geworden und habe das Opernhausprojekt auf Eis gelegt. „Zwischen Eins und Drei ist Nichts“ wird es nicht geben. So wie es geplant war, ist es nicht finanzierbar. Da würden wir Bankrott gehen.“

Nord bei Nordost: „Bei Stücken wie „Kondition Macht“ gibst du ja riesige Mengen Text wider. Hattest du nie Probleme mit Versprechern?“

Oswald: „Da hätte ich wirklich gern einen Souffleur gehabt. Texte auswendig zu lernen, wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Aber im Vergleich zu einem Shakespeare-Schauspieler habe ich relativ wenig Text. Ich bin natürlich nicht hundertprozentig textsicher und wer mal den einen oder anderen Live-Titel gehört hat, wird ab und zu kleine textliche Improvisationen hören.“

Nord bei Nordost: „Eure Texte sind sehr anspruchsvoll. Hat sich eigentlich mal das Goethe-Institut mit Goethes Erben befasst?“

Oswald: „Nicht im positiven Sinne. Die schalten bei unserem Namen schon auf stur und meinen, wir wären eine Anmaßung. Die haben einfach Probleme damit, ohne sich überhaupt mit der Materie auseinandergesetzt zu haben.“

Nord bei Nordost. „Kannst du zum Abschluss deinen Worten aus dem CD-Booklet noch etwas hinzufügen. Sowohl rückblickend als auch vorausschauend?“

Oswald: „Das Album ist eine Auseinandersetzung mit dem, was man empfindet. Das Leben ist voller Enttäuschungen. Mindys und mein Resümee ist, dass man versucht, so gut wie möglich weiterzuleben. Es heißt ja auch am Schluss: Nur wenn man letzten Endes bewusst lebt und mitgestalten kann und will, kann man auch irgendwas in der Welt ändern. Aber wenn man irgendwann aufgibt, dann kann sich nichts mehr, in irgendeine Richtung, zum Positiven ändern.“

Nord bei Nordost: „Danke für das Interview und dieses schöne Schlusswort.“

Oktober 2001

Goethes Erben (Foto: Strange Ways)

Autor: Lars Schmidt

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