Depeche Mode "Spirit"

Gedanken zu Depeche Mode und dem neuen Album „Spirit“

Nein. Das ist keine CD-Kritik. Die neueste Veröffentlichung von Depeche Mode setzte in mir – einem langjährigen Fan der Band – einen Prozess in Gang. Mein Verhältnis zur Band hat einen Tiefpunkt erreicht. Dave, Martin und Andy: Wir müssen reden!

Ich kann mich noch erinnern, wie ich euch kennenlernte. Das muss so 1983 oder auch Anfang 84 gewesen sein. Im Westradio nahm ich auf Verdacht einen Titel auf, der mir dann aber sofort ins Ohr sprang und mich nicht wieder los ließ. Ich wusste damals noch nicht, dass ich „Two Minutes Warning“ von eurem Album „Construction Time Again“ auf Kassette gespeichert hatte. Und ich wusste nicht, von wem dieses Lied stammt. Die Ansage des Radiomoderators hatte ich irgendwie verpasst.

Etwas später im Jahr 1984 drangen die Klänge von „People Are People“ in meine Ohren. Gefolgt von „Master And Servant“. Ich war elektrisiert. Was für eine neue, geniale, spannende und aufregende Musik. Und jetzt kannte ich auch die Urheber. Ihr wart es, Dave, Martin und Andy. Zusammen mit Alan Wilder. Depeche Mode. Von nun an wart ihr meine musikalischen Helden. Ich besorgte mir auf Umwegen und mit Beziehungen eine Kopie von eurem 84er Album „Some Great Reward“ auf Kassette. Und begann nach jedem anderen eurer Songs zu jagen, dessen ich habhaft werden konnte. Irgendwann überspielte ich mir bei irgendjemanden auch eurer Album „Construction Time Again“. Und siehe da. Auf der B-Seite erkannte ich sofort „Two Minutes Warning“ wieder.

So begann unsere Beziehung. Eure folgenden Songs und Alben verstärkten meine Bindung an eure Musik noch. Allen voran „Black Celebration“, das für mich zur Ikone wurde. Dann kamt ihr 1988 sogar für ein Konzert in mein eingemauertes Land, die DDR, aber ich hatte keine Chance eine Karte zu ergattern. Dass ihr es nicht erlaubtet, das Konzert im Fernsehen zu zeigen – geschenkt. Ihr hattet euren Fans im Osten ein Signal gesendet, dass ihr an sie denkt. Und die Compilation „The Singles 1981-85“ unter dem Titel „Greatest Hits“ bei Amiga rausgebracht. Geld habt ihr damit bestimmt nicht verdient. Um Geld, da war ich mir sicher, ging es euch nicht.

Und doch bekam unsere Beziehung danach einen ersten, wenn auch kleinen, Knacks. Zwischen euren Alben „Music For The Masses“ 1987 und „Violator“ 1990 entwickelte sich nicht nur euer Sound. Auch mein Musikgeschmack wandelte sich. Ich würde jetzt nicht so weit gehen und von Fremdgehen reden. Aber ich sah mich nach anderen Bands um. Dennoch nahm ich „Violator“ und das großartige „Enjoy The Silence“ euphorisch auf – traf es doch genau meinen Nerv. Inhaltlich wie musikalisch. Doch die Versöhnung war nur von kurzer Dauer. Nach gut sechs harmonischen Jahren lechzte ich nach Abwechslung. Und in der Nachwendezeit gab es Spannenderes als Depeche Mode.

Es begannen schwere Zeiten

Das Kuriose: Als ihr 1993 „Songs Of Faith And Devotion“ mit all seinen Gitarren, echten Drums und einem langhaarigen Dave veröffentlichtet, verlort ihr mich ganz. Obwohl ich in dieser Zeit total auf Gitarrenmusik und Rockbands abfuhr und selber lange Haare hatte. Aber Depeche Mode mit Gitarren im Stile einer Rockband? Nein. Das war nicht mehr meine Lieblingsband. Und obwohl jetzt die Möglichkeit bestand – anders als noch vor fünf Jahren – euch live zu sehen, interessierte es mich nicht. Ironie der Geschichte: Heute ist „Songs Of Faith And Devotion“ mein Lieblingsalbum der Band.

Danach gingt ihr und speziell Dave durch schwere Zeiten und ich hätte es verstanden, wenn ihr euch zu diesem Zeitpunkt aufgelöst hättet. Aus heutiger Sicht wäre das wohl das beste gewesen. Aber ihr kamt 1997 mit „Ultra“ zurück und ich empfing euch mit offenen Ohren. Auch wenn ich Alans Ausstieg sehr bedauerte. Doch wieder war die Versöhnung nur kurz. „Exciter“, euer nächstes Werk, war meiner Meinung nach zum Einschlafen langweilig. Auch mein erstes Depeche-Mode-Konzert im Rahmen eurer „Exciter“-Tour riss mich nicht vom Hocker.

Aus Begeisterung wurde Wertschätzung

Von da an nahm ich nur noch von euch Notiz, wenn sich ein neues Album ankündigte. Ich hörte rein und stellte fest – nicht mein Ding. Aber ich arrangierte mich mit unserer vergangenen Beziehung. Ich lernte unsere gemeinsamen Jahre wertschätzen. Entdeckte eure frühen Werke neu, sammelte mir ein paar Maxis, Remixe und Raritäten zusammen. Wenn man es so sagen will, machte ich meinen Frieden mit euch. Noch immer höre ich eure Musik sehr gerne – bis zur „Ultra“.

Aufhorchen ließ mich 2013 die Meldung, dass ihr nach über 30 Jahren euer altes Indie-Label Mute verlasst und zu Sony geht. Das roch verdammt nach Geldmacherei. Okay – independent war Mute seit Mai 2002 auch nicht mehr, nachdem das Label an EMI verkauft worden war. Aber dennoch hat mich das Gefühl seitdem nicht losgelassen, dass es bei euch nur noch um Kohle geht. Als ihr im Herbst 2016 euer aktuelles Album „Spirit“ ankündigtet, geschah das mit einem solchem Marketing-Tamtam, dass mir schlecht wurde. Erst die ständigen Ankündigungen auf Facebook, Depeche Mode haben an Tag X etwas Wichtiges zu verkünden. Dann eine exklusive Pressekonferenz in Mailand, wo die Katze aus dem Sack gelassen wurde. Als ob man nicht wusste, dass es sich um ein neues Album samt Tour handeln würde. Es folgte das Anheizen des Ticketvorverkaufes für die Konzerte.

Viel Medienrummel  – aber was dahinter?

Ich war kurz davor bei Facebook einen Kommentar zu hinterlassen: „Liefert lieber mal wieder ein geiles Album ab, anstatt hier so einen Medienrummel zu veranstalten.“ Aber ich ließ es. Vermutlich habt ihr bei Sony ja gar nichts zu melden, wenn es um PR und Marketing für euer Produkt geht. Produkt sagt man in diesen Kreisen doch, oder? Und das ist es letztlich, was mir weh tut. Zu erleben, wie meine Jugendliebe zu einem Produkt verkommt. Genug Fans, die kritiklos alles von euch kaufen, um diese Maschinerie am Laufen zu halten, gibt es ja. Da hat die Bezeichnung Devotees für eure Anhänger genau die richtige Bedeutung. Dass ihr euch dann auch noch an einen großen, magentafarbenen Telekommunikationskonzern für ein exklusives Konzert verkauft, wie schon vor vier Jahren, passt leider zu eurer neuen Produktpalette.

Ich habe mir natürlich auch „Spirit“ angehört. Mit demselben Effekt wie bei den vorangegangenen Platten. Es funzt nicht mehr. Die ersten beiden Tracks sind noch okay, danach verleitete mich das Album von Song zu Song mehr zum Abschalten.

Dave, Martin und Andy: Um unserer guten alten gemeinsamen Zeit Willen, möchte ich euch daher sagen, macht keine weiteren Alben mehr. Geht meinetwegen alle zwei Jahre auf großen Stadion-Greatest-Hits-Tour und macht euch mit den Einnahmen die Taschen voll. Etwas anderes als eure großen Hits wollen die Leute doch live eh nicht hören. Gesteht es euch ein. Also wozu neue Lieder produzieren. Und in der Zwischenzeit zählt euer Geld, spielt Golf oder widmet euch anderen musikalischen Projekten. Vielleicht entsteht dabei mal wieder was Neues, Spannendes. Wie vor über 30 Jahren.

 

Autor: Lars Schmidt

KOMMENTARE

Andreas Lerg

Ahoi.

Ich kann nicht zustimmen. Ich finde Spirit deutlich besser als den Vorgänger. Die Mischung stimmt für mich. Sicher, sie haben bessere und epischere Alben gemacht. Aber eben auch schwächere.

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