Das Ich

DAS ICH: „Die Realität ist nur eine Vision“

Weihnachtslieder und Das Ich? Eine seltsame Verbindung, die doch existiert, wie Bruno Kramm, Komponist und Produzent des Duos, vor dem Interview halb amüsiert, halb genervt erzählte. Denn im fränkischen Cottenau, dem Wohnort Kramms, betreibt der Musiker ein Tonstudio, in dem unter anderem auch ein Kinderchor aus der Region seine CD mit Weihnachtsliedern aufnimmt.

Das bringt zwar Geld fürs Unternehmen Das Ich, lässt Kramm aber regelmäßig an seiner ländlichen Wahlheimat zweifeln: „Wenn wir nicht so viel unterwegs wären, würde ich es hier nicht aushalten. Hier in den Frankenwald gehst du zum Sterben hin, aber nicht zum Leben“, stöhnt er. Und dann musste ihn die Leiterin des Kinderchores auch noch auf ein Das-Ich-Poster mit dem Titel „Antichrist“ ansprechen, das im Studio hing…

Nord bei Nordost: „Du hast doch garantiert den Ruf des bunten, oder besser gesagt des schwarzen, Vogels bei euch im Dorf…“

Bruno Kramm: „Ja klar. Man muss sich ständig erklären. Bis vor kurzem war ich hier aber sogar Lehrer für Musik an einer christlichen Schule. Aber jetzt haben sie mich suspendiert. Der Kirchenrat hat unsere Internetseite gefunden und meint, ich wäre ein Satanist. Also darf ich seine Schäfchen nicht mehr unterrichten.“

Nord bei Nordost: „Und wie hast zu es zum Lehrer gebracht?“

Bruno: „Eine Freundin ist dort Lehrerin und die hatte mich gefragt. Es gibt an der Schule ein paar junge Grufties, die wollten eine Band gründen und brauchten Unterstützung. Ich wollte den Kids helfen und das lief auch ganz gut an. Aber jetzt darf ich eben nicht mehr zu ihnen. Schade eigentlich.“

Nord bei Nordost: „Und alles wegen der alten Vorurteile…“

Bruno: „Ja. Aber das bemerke ich zurzeit wieder ganz extrem. Die ganzen Kleriker fangen wieder an sich zu verkrampfen. Und das nicht erst seit dem Karikaturenstreit. Auf der einen Seite regen sich alle über die Muslime auf. Dabei ist es bei den Christen nicht viel anders. Die Religiosität verstärkt sich und wird gleichzeitig immer intoleranter.“

Nord bei Nordost: „Oomph wurden wegen ihres Songs „Gott ist ein Popstar“ von der Echo-Verleihung ausgeladen und werden von TV und Radio teilweise boykottiert. Was hältst du davon?“

Bruno: „Ich finde das sehr seltsam. Es gab schon weitaus blasphemischere Texte als diesen. Also entweder nehmen diese Überreaktionen bei uns langsam amerikanische Dimensionen an. Oder das ist inszeniert um die Verkäufe zu pushen. Der Song hat doch nicht mal eine krasse aber stichfeste Aussage. Im Gegenteil: Der Text ist eher niedlich und ehrlich gesagt ziemlich flach. Und was die Echo-Verleihung angeht, dürften Rammstein dann wohl ja auch nicht eingeladen werden. Die haben schon viel krassere Sachen gebracht.“

Nord bei Nordost: „Ist ein christlicher Fundamentalismus in Deutschland zu befürchten?“

Bruno: „Ich habe nichts gegen das Christentum und auch nichts gegen Religionen allgemein. Es ist doch in Ordnung, wenn ein Mensch etwas hat, an das er glauben kann. Es ist schließlich schwer genug, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Und wenn man sein Heil im Glauben findet – warum nicht. Aber bitte nicht solche Leute verdammen, die ein anderes Weltbild haben.“

Nord bei Nordost: „Diese Kritik an derzeitigen gesellschaftlichen Zuständen kommt auch auf dem aktuellen Album von Das Ich zum Ausdruck. Und der Titel „Cabaret“ steht ja schließlich für unverhohlene Kritikäußerungen, Satire und Parodien. Warum habt ihr das Album unter diesen Aspekten aufgenommen?“

Bruno: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Alben immer zu ernst genommen wurden. Viele Fans machen keinen Unterschied zwischen dem was Das Ich darstellt und dem was wir wirklich sind. Dabei sind unsere Songs immer Stilisierungen und weniger Realitäten. Und das wollten wir mit „Cabaret“ unterstreichen. Hier wird etwas gespielt. So wie es im Cabaret auf der Bühne auch geschieht. Das Ganze ist eine Inszenierung.“

Nord bei Nordost: „Welche Dinge nehmt ihr denn nun inhaltlich aufs Korn?“

Bruno: „Die ganze Realität, die uns so wichtig erscheint, ist letztlich nur eine Vision. Das ist der Grundtenor des ganzen Albums. Im Einzelnen geht es um biografische Aspekte, um Sinnsuche – einfach um den täglichen Kampf in dieser schnelllebigen Welt und seine Konsequenzen.“

Nord bei Nordost: „Wie seht Das Ich vor diesem Hintergrund das derzeitige Weltgeschehen?“

Bruno: „Es ist zum Heulen. Ich hatte immer die Einstellung, dass wenn man sich anstrengt, die Welt Stück für Stück ein bisschen besser wird. Vor gar nicht allzu langer Zeit, zum Millenniums-Wechsel, schauten alle noch so zuversichtlich in die Zukunft. Und das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist gerade Mal zur Hälfte vorbei, da sieht alles ganz schrecklich und nach Untergang aus. Unser Wohlstand baut sich auf die Ausbeutung armer Völker auf. Die Globalisierung wird uns selbst bald heimsuchen. Ökonomische, ökologische und generelle Systemkonflikte harren ihrer Lösung… Was man vor zwanzig Jahren noch für düstere Science Fiction hielt, ist heute oftmals Realität.“

Nord bei Nordost: „Was gibt es denn für erfreuliche Sachen aus dem Leben von Das Ich zu berichten?“

Bruno: „Die Beziehungen sind intakt. Der Familie geht es gut. Ganz wichtig: Den Haustieren geht es auch gut…“

Nord bei Nordost: „Die da wären..?“

Bruno: „Drei Hunde, acht Katzen, ein Pferd, ein Pony und ein Papagei. Erfreulich ist natürlich auch, dass wir von unserer Arbeit, unserer Musik Leben können.“

Nord bei Nordost: „Du hast fürs Szenemagazin „Zillo“ Kolumnen geschrieben. Kommt man da als Musiker, dessen Werke in derselben Zeitschrift besprochen werden, nicht in einen Gewissenskonflikt?“

Bruno: „Ja, da hast du Recht. Das war auch für mich einer der Gründe, damit aufzuhören. Denn den Vorwurf, als Zillo-Kolumnist natürlich keine negativen Artikel in dem Heft zu bekommen, musste ich mir schon gefallen lassen. Außerdem fehlte mir aber immer mehr die Zeit dafür und ich wollte die Inhalte meiner Kolumnen lieber in Songtexte einfließen lassen.“

Nord bei Nordost: „Auf deinem Label Danse Macabre hast du kürzlich die sehr schöne Compilation „Harmonia Mundi“ mit Gothic-Bands aus Lateinamerika veröffentlicht. Wie bist die auf diese Idee gekommen?“

Bruno: „Wir sind in der ganzen Welt auf Tour unterwegs und da bekomme ich so viele Demos zugesteckt. Und in Südamerika habe ich einen guten Bekannten vor Ort, der sich sehr für dieses Projekt eingesetzt hat, so dass diese CD entstehen konnte. Die vertretenen Bands von dort sind natürlich stolz wie Oskar, dass ihre Songs jetzt in Deutschland auf einer CD zu haben sind. Auch wenn wir leider noch nicht so viele davon verkaufen konnten. Ein Song, „Wake Up Your Demons“ von Oraculo, hat es inzwischen aber sogar in einige deutsche Clubs geschafft und kommt dort richtig gut an“

Nord bei Nordost: „Sind weitere Teile geplant?“

Bruno: „Ja. Die Compilation soll eine Reihe werden, die pro CD ein Land oder einen Kontinent präsentiert, von dem man nicht unbedingt ahnt, dass es dort Gothic-Szenen gibt. Momentan überlege ich gerade, ob Teil zwei die Staaten der ehemaligen Sowjetunion oder Asien beinhalten wird. Ich habe schon Demos aus Russland, der Ukraine und Japan und erwarte noch welche aus Thailand und von den Philippinen. Also mal abwarten.“

Nord bei Nordost: „Das werden wir mit Spannung tun. Vielen Dank für das Interview!“

Künstlerwebseite

Mehr Das Ich auf Nord bei Nordost:

CD-Kritik „Cabaret“

CD-Kritik „Lava“

 

 

Autor: Lars Schmidt

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