
CAMOUFLAGE – Elektronischer Rock’n’Roll
Sie wurden mal mehr, mal weniger als die deutschen Depeche Mode beschrieben: Camouflage. Dabei hat das Trio Megahits geschrieben, die sich hinter denen der Engländer nicht zu verstecken brauchen. Noch heute spielen diverse Radiostationen „The Great Commandment“ und „Love Is A Shield” als wären wir in den Achtzigern. Und noch heute ziehen diese Songs das tanzende Volk auf die Dancefloors der Welt. Sänger Marcus Meyn plaudert über das Geheimnis dieser Megahits, über die Camouflage-Pause in den Neunzigern und das Album „Relocated“.
Nord bei Nordost: Ihr habt als Band 1983 angefangen. Wo liegen die Unterschiede zwischen den 80ern und 2006 hinsichtlich Plattenproduktionen, Live-Auftritten und Musikmachen überhaupt?
Marcus: In den Achtzigern waren die Plattenfirmen reich und haben Unmengen an Geld ausgegeben. Heute hast du teilweise ein Zehntel des Budgets von damals, um eine Platte zu machen. Die Achtziger waren aber auch eine wichtige Zeit in Bezug auf Musik. Das sieht man noch heute: Ständig werden Sachen von damals ausgegraben und in ein neues Kleid gesteckt.
Nord bei Nordost: Ist dieses – nun schon lange anhaltende – Comeback der Achtziger auch eine Chance für euch als Band?
Marcus: „The Great Commandment“ und „Love Is A Shield“ laufen bis heute im Radio rauf und runter. Das hat schon gar nichts mehr mit uns zu tun. Ich denke nicht, dass man dieses Achtziger-Revival, das ja schon seit Jahren ausgerufen wird, auf uns beziehen kann.
Nord bei Nordost: Warum gab es Mitte der Neunziger eine Camouflage-Pause?
Marcus: Wir hatten damals das Album „Spice Crackers“ aufgenommen. Wir hatten wahnsinnig viel Zeit, Geld und Arbeit in diese Platte gesteckt. Die Plattenfirma hat uns gefeiert, als wir ihr das Material vorgespielt haben. Und dann ist nichts passiert. Das war ein sehr herber Schlag, nach dem wir erst einmal eine Auszeit brauchten. Nach einem Jahr Pause haben Heiko und ich uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir weitermachen können. Da kam uns die Idee, unseren ehemaligen dritten Mann Oli zu fragen, ob er nach seinen acht Jahren Pause nicht wieder Lust hat, mit uns Musik zu machen. Er hat „Ja“ gesagt und es hat sich eine Energie entwickelt, die ohne die Pause nie zustande gekommen wäre. Ohne die Pause wären wir heute nicht mehr da.
Nord bei Nordost: Wer ist heute die Zielgruppe eurer Musik, wer wird die neue Camouflage-Platte kaufen? Oder anders gefragt: Fühlt ihr euch bestimmten musikalischen Szenen zugehörig?
Marcus: In bestimmte Szenen stecken uns die Medien. Ich denke, dass unsere Musik die Chance in sich birgt, sehr viele Leute anzusprechen. Viele, die uns vor 20 Jahren gehört haben, hören uns auch heute noch. Das ist wie ein Nachhausekommen.
Wir sind manchmal sehr verwundert, wenn wir auf Veranstaltungen wie dem Wave-Gotik-Treffen spielen. Da fühlen wir uns wie Paradiesvögel. Wir haben eigentlich mit dieser Szene nichts zu tun. Aber wenn 8.000 Wave-Gothic-Fans „Love Is A Shield“ singen, dann ist das einfach großartig.
Nord bei Nordost: Marcus, du hast einmal gesagt: „In Moll fühle ich mich wohler als in Dur.“ Das hört man auch der neuen Scheibe an, wie ich finde. Hast du eine Erklärung dafür?
Marcus: Nee, das war schon immer so. Wenn ich mich hinsetze und Musik schreibe, wird daraus einfach ein melancholisches Camouflage-Stück. Dabei spielt es keine Rolle, was ich sonst gerade an Musik höre. Ich höre zum Beispiel HipHop, Coldplay, Rockmusik, Klassik. Ich bin kein trauriger, aber doch ein sehr nachdenklicher Mensch…
Nord bei Nordost: Sitzen die Camouflage-Musiker also bei einer Party eher in der Ecke als auf die Tanzfläche zu springen?
Marcus: Wir können auf jeden Fall auch Party feiern. Aber ich bin nicht der Typ, der sofort offen auf Leute zugeht. Ich beobachte zunächst sehr viel und höre sehr genau zu. Manche Leute denken deshalb, ich wäre arrogant. Wir sind eigentlich alle drei nicht die wahnsinnig überschwänglichen Typen.
Nord bei Nordost: Im Zusammenhang mit der neuen Platte war zu lesen, dass ihr viel ausprobiert habt. Warum und wie darf man sich das konkret vorstellen?
Marcus: Es funktioniert so: Ich schreibe einen Song und präsentiere ihn Heiko und Oli. Dann sagt einer von den beiden zum Beispiel: Ja, der ist gut, aber lass uns den Chorus anders machen. Und dann wird probiert, diskutiert und gestritten. Schließlich raufen wir uns zusammen. Teilweise gibt es dann ganz demokratische 2:1-Entscheidungen.
Nord bei Nordost: Ist die Zeit von Megahits à la „Great Commandment“ und „Love Is A Shield“ vorbei? Auf „Relocated“ habe ich keinen potentiellen Knaller dieses Kalibers entdeckt…
Marcus: Glaubst du, dass wenn du damals „Methods Of Silence“ oder „ Voices & Images“ gehört hättest, du gesagt hättest, „Great Commandment“ oder „Love Is A Shield“ wird ein Megaknaller? Wer das gekonnt hätte, wäre heute Multimilliardär. Ob ein Titel ein Hit wird, hängt von einem Momentum ab, auch von der Penetranz, mit der dir ein Titel dargeboten wird. Wenn eine Nummer von Shakira, die 1.600 Mal die Woche im Radio läuft, kein Hit wird, dann tut’s mir leid.
Nord bei Nordost: Welcher Song auf dem neuen Album hat denn deiner Meinung nach das Zeug zum Hit?
Marcus: Die aktuelle Single „Motif Sky“ könnte ein Hit werden, wenn sie im Radio laufen würde. Aber ob sie gespielt wird, ist eben nicht sicher. Wenn die Leute einen Titel öfter hören, sind die Chancen auf einen Hit natürlich viel größer. Oder wenn du einen Song für die Kampagne der neuen S-Klasse von Mercedes nimmst und ihn den Leuten mit einer Marketingpower in Millionenhöhe ständig um die Ohren knallst, dann werden viele Leute diese Platte kaufen und schon hast du einen Hit.
Nord bei Nordost: Würdet ihr beispielsweise „Motif Sky“ für so einen Werbespot hergeben?
Marcus: Damit hätte ich überhaupt kein Problem. Es kommt natürlich immer darauf an, was man bewirbt und wie es gemacht ist. Es hat sich ja alles ein wenig verschoben. Heute ist es sehr schwierig, über die klassischen Promotionwege einen Hit zu generieren.
Nord bei Nordost: Wieso kam es zu den Verzögerungen bei der Veröffentlichung von „Relocated“? Erst hieß es, das Album erscheint Ende Juni, dann am 18.08. und jetzt kommt es am 25.08. in die Läden.
Marcus: Es gab heftige Kommunikationsprobleme zwischen unserem alten Management, der Plattenfirma und uns. Das hat zur ersten Verschiebung geführt. Die zweite Verschiebung war vertriebsbedingt. Fertig ist die Scheibe schon seit März.
Nord bei Nordost: Ihr seid alte Hasen, habt eine deutlich wiedererkennbare musikalische Handschrift entwickelt. Gibt es dennoch Musik bzw. Künstler, die euch beeinflussen?
Marcus: Beeinflussen tut einen viel, vieles auch unterschwellig. Es gibt immer mal wieder Bands, die einen so richtig berühren. Das war bei mir in den letzten Jahren Coldplay. Die sprechen mir wirklich aus dem Herzen: gefühlvolle Musik, tolle Texte, eine Wahnsinnsenergie und live der Hammer. Ganz ganz großes Kino!
Nord bei Nordost: Camouflage waren auch immer viel im Ausland unterwegs. In welchem Land funktioniert eure Musik am besten?
Marcus: Momentan funktioniert es lustigerweise am besten in Russland und im Baltikum. Dort sind unsere Tourneen ausverkauft. Ich weiß nicht, woran das liegt. Als wir das erste Mal in St. Petersburg vor 3.000 Leuten gespielt haben, dachte ich: „Das kann doch nicht wahr sein.“ Ich war vorher nie in meinem Leben in St. Petersburg. Und dann ist da diese Wahnsinnsstimmung und die Leute singen jeden Song mit.
Nord bei Nordost: In welchem bisher von euch noch nicht bereisten Land würdet ihr gern spielen?
Marcus: USA. Und Lateinamerika, wo wir sehr viele Fans haben. Anfang nächsten Jahres soll es da hingehen.
Nord bei Nordost: Im Studio seid ihr ein Trio. Ist das auch live der Fall?
Marcus: Nein. Wir sind seit sechs Jahren zu viert mit Live-Schlagzeuger unterwegs. Und auf die kommende Tour werden wir auch noch einen Gitarristen mitnehmen.
Nord bei Nordost: Was sind eure Erwartungen an die kommende Tour und worauf dürfen sich die Fans freuen?
Marcus: Ich habe wirklich keine Ahnung, was auf uns zukommt. Ich weiß nur, dass das, was wir den Leuten präsentieren werden, sehr gut ist. Wir haben ein tolles Licht dabei. Wir spielen zwei Stunden Minimum. Wir geben jeden Abend alles. Das wird elektronischer Rock’n’Roll. Wenn ich von der Bühne gehe, bin ich fertig, das kannst du mir glauben.
Nord bei Nordost: Habt ihr eigentlich Depeche Mode, eure „musikalischen Brüder im Geiste“, auf der aktuellen Tour gesehen?
Marcus: Ich habe die Band seit 1981 oft gesehen und schon so tolle Konzerte erlebt. Es ist für mich persönlich nicht mehr das, was es mal war. Und es ist eine Massenveranstaltung geworden. Aber nach wie vor ist es eine Hammer-Band!
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Camouflage (Foto: Hardbeat Promotion)
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