
Bluessommer von Kay Lutter: Ein Buch, so ehrlich wie der Blues selbst
Wenn man in der Achtzigern in der DDR aufgewachsen ist und sich musikalisch vom Ostrock abgrenzen wollte, gab es im Prinzip nur zwei Möglichkeiten: Blues und Punk. Kay Lutter zog es zum Blues. Vom Fan der damals angesagtesten Band Freygang wurde er zu deren Bassist. Darüber und über noch viel mehr, hat er ein tolles Buch geschrieben: Bluessommer.
„Es ist eine fiktive Geschichte mit ein paar biografischen Wegpunkten“, beschreibt Kay Lutter sein literarisches Debüt im Gespräch mit Nord bei Nordost. Denn Mike, der Held des Romans, ist ganz klar an Kays Geschichte angelehnt. Der musikbegeisterte Teenager spielt in einer Schülerband. Doch sein Traum ist es, Bassist in einer der wilden Bluesbands zu werden, deren Konzerte er an den Wochenenden in und um Potsdam besucht. Als er die Zulassung für das Musikstudium in Berlin erhält, kann er nicht nur seiner provinziellen Heimatstadt entfliehen. Er findet seine große Liebe, besetzt eine Wohnung und wird Bassist bei Monomann, seinen großen Idolen.
Bluessommer punktet mit Insiderwissen

Kay Lutter reiste für Bluessommer in die eigene Vergangenheit.
„In Mike stecken ungefähr fünfzig Prozent von mir“, sagt Kay. „Ich wollte mit 16 nach Berlin und in einer Band spielen.“ Die Band Monomann aus dem Buch steht natürlich für die legendäre und mehrmals verbotene Band Freygang von André Greiner-Pol. Wenn man sich die Biografie des heutigen Bassisten von In Extremo anschaut, erkennt man viele der Übereinstimmungen: in Potsdam aufgewachsen, erste Erfahrungen in einer Band namens Madstop, danach Musikstudium in Berlin, Bassist in Bands wie Freygang, Kerschowski, Tausend Tonnen Obst und seit Mitte der Neunziger bei In Extremo. „Am Anfang habe ich noch sehr an den realen Figuren festgehalten. Aber irgendwann habe ich losgelassen und sie sich entwickeln lassen. Das ging dann ganz von alleine“, so Kay.
Musik, Liebe, Freundschaft, Individualität, Freiheit – das sind natürlich die großen Themen in diesem spannenden wie unterhaltsamen Buch. Am meisten punktet Kay Lutter in Bluessommer aber mit seinem Insiderwissen über die Untergrund-Musikszene in Ostberlin Mitte der achtziger Jahre. Und die ist weit weniger subversiv, als man denken mag. Da gibt es auf der einen Seite selbstherrliche Musiker und Bands, die sich spinnefeind sind. Auf der anderen Seite eine eingeschworene Fangemeinschaft, die Wochenende für Wochenende ihren Helden durch die ganze Republik hinterherreist. Es geht um Spielgenehmigungen und Auftrittsverbote und natürlich um den Staat mit seiner Bürokratie und seinen Funktionären, die sich überall einmischen.
Auftrittsverbot, Verhaftungen
„In die eigene Vergangenheit einzutauchen war schon krass“, erzählt Kay über den Entstehungsprozess von Bluessommer. Fünf Jahre arbeitete er an seinem Buch. Immer, wenn ihm sein Haupt-Job bei In Extremo dazu Zeit ließ. Unangenehme oder gar schlimmen Erinnerungen habe er aber nicht gehabt. Trotz Auftrittsverbot seiner Band Freygang und zwei Verhaftungen habe er sich nie verfolgt gefühlt.
„Vielleicht war ich naiv“, konstatiert der Bassist heute. „Ich wusste, dass vor unserm Haus in Berlin immer ein Auto stand, in dem Typen saßen, uns beobachteten und jeden fotografierten, der ins Haus ging. Darüber habe ich mir aber keinen Kopp gemacht. Ich wollte das einfach nicht so an mich ran kommen lassen.“
Ehrliche und unehrliche Musik
Vielleicht ist das auch der Grund, warum Kays Roman trotz aller Kritik an der Gängelung seiner Band keine persönliche Abrechnung mit der DDR ist. Ein weiterer großer Verdienst des Autors. Dem Schema böser Staat gegen armen Musiker entzieht er sich durch einen wertungsfreien Rückblick. Hier wird nichts glorifiziert und kein Ostklischee bedient.
„Wir waren nicht politisch“, stellt er klar. „Wir haben ein Lebensgefühl mit unserer Musik transportiert.“ Das Politische sei den Bands meistens erst nach der Wende übergestülpt worden. Aber: „Die Blueser waren das nicht und Punks später auch nicht.“ Wenn Bands wie Freygang überhaupt eine Opposition waren, dann höchstens eine musikalische. Der Blues war für Kay der Gegenentwurf zum etablierten Ostrock. Den habe er sich nicht angehört. „Für mich gab es ehrliche und unehrliche Musik. Und Blues war ehrlich“, sagt Kay.
Band aus dem Buch ist zum Leben erwacht

Monomann: Kay mit zwei Musikern von Freygang. Verstärkt wird das Trio noch durch Micha Rhein von In Extremo.
Die DDR zu verlassen, wie es viele andere Musiker taten, war für Kay Lutter nie eine Option. Obwohl seine Band 1986 ein Spielverbot auf Lebenszeit bekam. Obszöne Äußerungen, Belästigung des Publikums, Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen und Störung des sozialistischen Zusammenlebens lauteten die Vorwürfe. „Ich hatte doch alle meine Freunde hier“, antwortet er auf die Frage nach Fluchtplänen.
In Bluessommer endet die Geschichte etwas anders. Denn am Ende des Buches hat sich Mike ziemlich weit von Kay entfernt. Dafür gibt es die Band Monomann heute wirklich. Kay Lutter hat sie aus Musikern von Freygang und In Extremo zusammengestellt und ist mit ihnen auf Tour. Bis Mai 2018 will er sein Romandebüt auf musikalischen Lesungen vorstellen. Der Bluessommer wird also bis in den Frühling verlängert.
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