
Mit dem Camper nach Schottland: Ins wilde Herz der Highlands
Die schottischen Highlands sind eine raue, einsame und ursprüngliche Welt. Genau das, wonach ich suchte. Auf der Tour entlang der Küste über schmale Straßen überrascht mich die Landschaft immer wieder aufs Neue. Noch unberechenbarer sind in Schottland nur die Moskitos und das Wetter.
„Die hier beschriebene Tour nach Schottland habe ich im Juli 1997 mit meinem selbstausgebauten Camper gemacht. Basisfahrzeug war ein Nissan Vanette Cargo und der Zweiliter-, 67-PS-Diesel hatte auf der insgesamt rund 5500 Kilometer langen Strecke ordentlich was zu tun. Dieser Bericht für Nord bei Nordost entstand einige Jahre später anhand von Tagebucheinträgen.“
Tag 1: Nach zwölfstündiger Fahrt erreiche ich Calais. Da die Ostseeautobahn A20 im Sommer 1997 noch eine Baustelle ist, führen die ersten 200 Kilometer von Stralsund nach Lübeck durch Städte und Dörfer entlang der B105. Bis zu vier Stunden muss man dafür einplanen. Ich parke den Nissan-Camper auf dem Fährterminal und schaue dem Treiben beim Anlanden und Abfahren der Hovercrafts zu. Mein Luftkissenboot geht am nächsten Morgen.

Die Hovercraft-Fähre brachte mich über den Kanal.
Tag 2: Ich fahre den Camper in den Bauch des Hovercrafts und gehe an Bord. Der Passagierraum ähnelt dem eines Flugzeugs. Stewardessen bieten Getränke an, die man im Unterschied zum Flieger allerdings bezahlen muss. Unter lautem Getöse erhebt sich das Luftkissenboot und schwebt vom Strand auf das Wasser des Ärmelkanals. Die Propeller wirbeln so viel Wasser auf, dass man draußen so gut wie nichts sieht. Nach 30 Minuten bin ich in Dover und fahre auf britischen Boden.
Bevor ich Richtung Schottland starte, mache ich einen Umweg in das südwestenglische Glastonbury. Der Glastonbury Tor hatte mich auf einer früheren Reise durch Südengland so stark in seinen Bann gezogen, dass ich mich seiner Magie nicht mehr entziehen konnte. Und der Abstecher lohnt sich. Ich werde am Nachmittag Zeuge, wie ein Druide eine heidnische Hochzeitszeremonie leitet. In der Nacht ertönen auf dem Hügel die Trommeln, Flöten und Gesänge von Anhängern der keltischen Kultur, deren Zentrum der Tor ist. Laut ihrer Mythologie befindet sich hier der Eingang nach Avalon, dem Land der Feen. Auch mit der Artussage wird der Hügel in Verbindung gebracht.
Tag 3: Von Glastonbury breche ich nach Nottingham auf. Die Stadt aus der Robin-Hood-Sage ist für mich ein optimaler Zwischenstopp auf dem Weg nach Schottland. Ich besuche meine englischen Freunde, die dort studieren.
Was haben die Römer Schottland gebracht?
Tag 4: Weiter geht’s gen Norden. Hinter Newcastle stoppe ich in Corbridge am Hadrians Wall und besichtige die Reste eines alten Römerkastells. Ähnlich dem Limes in Deutschland diente der Wall als Grenze der römischen Provinz Britannia inferior. Er wurde zwischen 122 und 128 n. Chr. auf Befehl Kaiser Hadrians erbaut und erstreckte sich auf rund 117 Kilometern von Küste zu Küste. Dann passiere ich die englisch-schottische Grenze. Hinweisschilder am Straßenrand markieren sie. In Jedburgh übernachte ich auf einem Parkplatz mit Blick auf die romantische Ruine der Jedburgh Abbey. Das herrliche Sommerwetter, das mich seit meiner Ankunft in Dover begleitet, beschert mir vor dieser Kulisse einen unvergleichbaren Sonnenuntergang.

Dafür schwärmt das Romantikerherz: die Klosterruine von Melrose.
Tag 5: Ich fahre nach Kelso und Melrose, wo ich mich ebenfalls von der morbiden Schönheit alter Abteien- und Kloster-Ruinen begeistern lasse. Hier in den Borderlands – wie das sanft hügelige Grenzgebiet zwischen Schottland und England genannt wird – finden sich zahlreiche Zeugnisse vergangener Kriegsgewalt. Die Engländer zerstörten die Klöster in den Kriegen mit Schottland. Denn diese Region war bis ins 16. Jahrhundert immer wieder Schauplatz blutiger Kämpfe. Jedburgh, Kelso und Melrose waren drei der bedeutendsten schottischen Klosteranlagen in diesem Gebiet. Am Nachmittag erreiche ich Edinburgh – Schottlands stolze Hauptstadt.
Tag 6: Edinburgh: Sightseeing ist angesagt. Ich erkunde die historische Altstadt, bummele durch Pubs und Geschäfte, schaue mir die Wachablösung vor dem Schloss an und lausche den Dudelsackspielern. Natürlich gibt es fettige Fish and Chips und dazu ein Bier.
Tag 7: Raus aus Edinburgh. Und rüber über den Meeresarm Firth of Forth, wo man von der Autobrücke auf die 1890 erbaute, zweieinhalb Kilometer lange und 50 Meter hohe Eisenbahnstahlbrücke blickt. Sie gehört zum Weltkulturerbe. Dann folge ich der Ostküste weiter nach Norden. Über Perth und Dundee geht es weiter bis nach Stonehaven. Dort übernachte ich auf einem Campingplatz direkt am Meer. Zuvor besuche ich Dunnotar Castle. Ein verfallenes Gemäuer auf einem Felsen in der Nordsee über dem die Möwen kreisen. Dunkel und geheimnisvoll und bei meinem Besuch in Nebelschwaden eingehüllt.
Tag 8: Auf der Weiterfahrt Richtung Highlands verlasse ich die Küstenstraße und kürze den Weg durch die Grampian Mountains ab. Das Mittelgebirge gehört zum Cairngorms Nationalpark. Es geht ganz nah an Balmoral Castle, der Sommeresidenz der Queen, vorbei. Zu meiner großen Überraschung schlängelt sich die Straße in Serpentinen und mit enormen Steigungen die Berge hoch. An einigen Hängen sehe ich Skilifte. Als es wieder mehr bergab geht, kommt Inverness in Sicht. Die nördlichste „City“ Großbritanniens mit rund 50.000 Einwohnern. Nach einer kurzen Stadtbesichtigung fahre ich entlang des Flusses Ness nach Drumnadrochit am Loch Ness, an dessen Ufer ich auf einem Campingplatz übernachte.

Im Örtchen Drumnadrochit am Loch Ness dreht sich alles um Nessi.
Tag 9: Ich wandere am Ufer des Loch Ness entlang zum Urquhart Castle, aber Nessi lässt sich nicht blicken. In Drumnadrochit lasse ich mich mit dem Loch-Ness-Touristentrubel treiben. Geschäfte bieten alle möglichen und unmöglichen Souvenirs rund um das legendäre Monster von Loch Ness an.
Einsamkeit und Wildnis
Tag 10: Vom Loch Ness geht es ins einsame und wilde Herz der Highlands. Immer entlang der Ostküste fahre ich bis nach John O’Groats – dem nordöstlichsten Punkt der britischen Hauptinsel. Von dort blicke ich hinüber zu den Orkney Inseln. Am Rande von Schottlands nördlichster Stadt Thurso (8000 Einwohner) campe ich auf einem Bauernhof, treffe Einheimische in Wikingerkostümen und probiere mich im Pub durch die vielen verschiedenen Biersorten. Als die Kneipe um 23 Uhr schließt, ist es draußen gerade erst dunkel geworden. Die Sommernächte sind hier oben im Norden kurz. Ich befinde mich auf dem 58. Breitengrad. Zum Vergleich: Stockholm liegt auf dem 59.
Tag 11: Ab jetzt geht es westwärts. Immer entlang der Nordküste Schottlands. Ich entdecke zwischen schroffen Küstenabschnitten malerische Buchten mit kristallklarem Wasser und weißen Stränden. In Durness erreiche ich den nordwestlichsten Ort. Dann lenke ich den Camper nach Süden und übernachte in der Nähe des Ortes Kylesku mit Blick auf den Loch Gleann Dubh.
Tag 12: Immer entlang der Westküste geht es weiter nach Süden. Die Landschaft ist einmalig. Hinter jeder Kurve, hinter jeder Erhebung hält sie neue Überraschungen parat. Immer wieder schneiden sich Fjorde tief ins Land uns müssen an ihren Ufern umfahren werden. Nur selten begegnet mir ein Fahrzeug. Es geht auf überwiegend einspurigen Trassen bergauf, bergab durch menschenleere Gegenden. Sattgrüne Hänge wechseln mit granitgrauen Felsen. In einem Tal halte ich an und steige aus. Lasse die Ruhe und die Weite auf mich wirken. Nur das Asphaltband der Straße und eine knallrote Telefonzelle zeugen von der zivilisatorischen Gegenwart. Ab und zu weiden Schafe am Wegesrand oder trotten seelenruhig vor mir über den Weg. Alle paar Kilometer reicht ein Zaun bis an die schmale Straße heran. Die Räder rattern dann über ein in den Boden eingelassenes Viehgatter. Es soll verhindern, dass die Schafe ihre Weiden verlassen.

Sogar breite, weiße Strände mit türkisblauem Wasser findet man im Nordwesten Schottlands, wie hier bei Durness.
In der Nähe von Gairloch finde ich ein wildromatisches Plätzchen zwischen Felsen für die Nacht. Und unterschätze zum ersten Mal die Gefahr, die von den schottischen Mücken, den Midgets, ausgeht. Noch ehe ich es raffe, habe ich die kleinen, fiesen Biester im Auto. Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich zerstochen. Als ich die Schiebetür des Campers öffne, stehe ich inmitten einer Schafherde.
Mücken und Regen
Tag 13: Mit juckender Haut starte ich zu meinem nächsten Ziel. Der Insel Skye. Kurz nach der Abfahrt beginnt es zu regnen. Der Wind frischt auf. Schon in den vergangenen beiden Tagen hatte sich das anfänglich warme Sommerwetter mit viel Sonnenschein in trübes, unbeständiges und regnerisches Wetter gewandelt. Als ich am Nachmittag in Kyle of Lochalsh, dem letzten Ort vor der Brücke nach Skye, ankomme, gießt es in Strömen. Der Wetterbericht kündigt Sturm an. Ich entscheide, erst mal auf dem örtlichen Campingplatz abzuwarten, wie sich das Wetter entwickelt.
Es regnet weiter. Um den Camper trotz des Niederschlags trockenen Kopfes verlassen zu können, spanne ich eine große Plane vom Dach des Fahrzeugs zu einer Hecke, die die Parzelle begrenzt. Nicht die beste Idee, in Anbetracht des angesagten Sturms. Irgendwann nachts wache ich auf. Regen prasselt aufs Dach. Der Wind peitscht die Plane. Hebt sie an, lässt sie flattern und danach krachend auf den Camper klatschen. Irgendwann springe ich entnervt nach draußen und kappe die Spanngurte, mit denen die Plane am Auto befestigt ist. Eine Windböe drückt die Plane in die Hecke, wo sie sich verfängt und hängen bleibt.
Tag 14: Am nächsten Morgen regnet es noch immer. Der Sturm hat etwas nachgelassen. Die Aussichten verheißen keine Besserung. Und im Camper ist alles feucht und klamm. Der Schlafsack, die Klamotten. Die Scheiben beschlagen ständig. Ich blase die Tour nach Skye ab und fahre weiter nach Süden. Bei Dauerregen bremse ich am berühmten Eilean Donan Castle. Über Loch Lochy und Loch Linnhe – die zusammen mit dem Loch Ness den Caledonian Canal bilden, eine Wasserstraße von der Nordsee zum Atlantik – erreiche ich für eine Pause Fort William. Von dort starten Wanderer und Bergsteiger zum Ben Nevis, Großbritanniens höchstem Berg. Aber nicht heute. Denn der 1345 Meter hohe Berg hüllt sich in tiefe, dunkle Regenwolken.
Ich verliere so langsam die Lust und beschließe, so lange weiterzufahren, bis es aufhört zu regnen. Am Abend, etwas südlich von Glasgow, ist es soweit. Und als wolle sie sich entschuldigen, blitzt die Abendsonne kurz durch eine Wolkenlücke und zaubert einen Regenbogen ans Firmament.
Tag 15: Wieder Regen. Diesmal in Form von feinstem Niesel. Da ich die Highlands bereits weit hinter mir gelassen habe, macht es für mich keinen Sinn, wieder umzudrehen oder weiter in Schottland auf trockenes Wetter zu warten. Ich habe ohnehin nur noch drei Tage Zeit. Also auf nach Dover zur Fähre, die ich nach einem Zwischenstopp an einer Autobahnraststätte am Tag darauf erreiche.
Tag 16: Problemlos kann ich auf eine frühere Fähre umbuchen und wenig später bin ich in Calais. Da mein Weg nach Hause ohnehin durch die Niederlande führt, stoppe ich spontan in Amsterdam und schlage mir zwei Nächte in der quirligen Metropole um die Ohren. Nach den ruhigen und einsamen Tagen in den Highlands ein kontrastreicher aber rundum gelungener Urlaubsabschluss.
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